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Wer will schon Guru sein?

Ich war letztens zu Besuch bei einer großen Audienz-Veranstaltung von „Amma“ – einer indischen Guruin (spirituelle Lehrerin), die weltweit Umarmungen verteilt – bisher wohl schon an 35 Millionen Menschen.
Ihre Umarmungen sind Symbole für unvoreingenommene, nicht-auswählende Liebe, die sie allen Menschen entgegenbringt und damit Zeichen des Friedens. Ihre Arbeit hat viele inspiriert, so dass es um Amma eine große, produktive Hilfsorganisation gibt, die „embracing the world“ (engl. „die Welt umarmen“) heißt.

Die Veranstaltung war groß, gut organisiert und spektakulär. Das war das erste Mal, dass ich aktiv mit der Arbeit von Amma in Kontakt gekommen bin und ich habe mir natürlich auch eine Umarmung von ihr abgeholt (hat auch kaum neun Stunden Warten erfordert…).

Eine der spannendsten Fragen, die mir an dem Abend in den Sinn gekommen ist:
Wie muss es wohl sein, Guru zu sein?

Ich glaube: ganz schön anstrengend.

Ich stelle mir das irgendwo so vor: Irgendwann merkst du, dass du was drauf hast, was anderen Menschen voll helfen kann – oder andere Menschen stellen fest, dass du was drauf hast.
Ob jetzt wirklich alle Gurus einen starken Draht zu irgendwas übersinnlichem, höherem haben, sei mal ganz dahin gestellt. Zumindest müssen sie aber wohl irgendwas charismatisches an sich haben, das Menschen dazu motiviert, sich ihnen anzuschließen, sich nach ihren Vorschriften/Vorschlägen zu richten und/oder Lebensideale nach ihnen auszurichten.

Wenn du oder andere merken, dass du das Zeug zum Guru hast – Leute hören auf dich, Leute wollen deinen Rat, Leute betreiben Aufwand, um zu dir zu kommen – gilt es wohl eine Entscheidung zu treffen: Wem will ich helfen?

Relativ einfach dürfte wohl sein, sich irgendwo in einer Höhle zu verschanzen und niemanden an sich ran zu lassen – sollen die doch für sich selbst sorgen und mich in Ruhe lassen.

Schwieriger ist es, eine Auswahl zu treffen: Nur besonders geeignete Menschen dürfen in den Genuss kommen, Hilfe zu erhalten. Aber nach welchen Kriterien? Solche Gurus gibt es auf jeden Fall. Als so ein Guru kann man bestimmt auch ordentlich Geld machen.

Amma hat sich entschieden, es anders zu machen: Alle dürfen zu ihr kommen, alle bekommen Hilfe, eine Audienz, Liebe von ihr. Das sieht dann wohl so aus wie in Berlin: Innerhalb eines Wochenendes werden sicher 10.000 Leute durch geschleust, werden nach einander ca. 5 Sekunden von ihr umarmt und dann durch Helfer_innen wieder weg gebracht.
Krass fand ich auch, dass es getragene Socken und Kleidung von ihr zu kaufen gibt – Reliquien einer lebenden Heiligen oder so. Auch Bilder und sonst was gibt es zu Hauf und alles, was irgendwie mit ihrer Organisation zu tun hat, ist Ammas Werk – geleistet durch hunderte, tausende Freiwillige aber immer Ammas Werk.
Ein Guru für alle – die deshalb vermutlich auch so viel wie möglich reale und gefühlte Berührfläche nach außen bieten muss, damit sich alle, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen möchten, beachtet fühlen. Ein echter Full-Time-Job, der die ganze Person vereinnahmt.

…wenn ich mir das so überlege – ich will kein Guru sein. Das kommt mir viel zu anstrengend vor.
Da mach ich lieber im kleinen Rahmen weiter Free Hugs 🙂

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