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Mein Weg aus der Depression – Depression verstehen

Dies ist der Start zu einer Artikel-Serie, die sich wohl eine Weile ziehen wird. Der Titel „Mein Weg aus der Depression“ will keine Anleitung versprechen – die habe ich nicht – sondern eine Dokumentation meiner Versuche und Schritte.

Was ich damit auch schon implizit gesagt habe: Ich habe eine Depression/leide an Depression oder viel richtige: Ich lebe mit einem depressiven Verhaltensmuster – und es wird Zeit das zu ändern!

Ich habe mir angewöhnt sehr offen über vieles zu sprechen, auch über vermeintlich negatives und intimes – also Themen, über die „man“ eigentlich nicht spricht.
Meine Depression ist aber ein Thema, dass ich bisher ziemlich gemieden habe.
Einerseits, weil ich selbst bisher nicht so richtig viel dazu sagen konnte. Andererseits, weil Menschen, die keine Depression haben, meist komplett falsche Vorstellungen davon haben, wie es ist mit eine Depression zu leben und ich die Bilder in ihren Köpfen scheue.

Wie zeigt sich meine Depression

Wer mich kennt, wird mich vermutlich als nachdenklichen aber lebensfrohen Menschen beschreiben. Manchmal vielleicht etwas eigen, gerne mal auf ungewöhnlichen Wegen unterwegs, aber oft auch mit einem Grinsen im Gesicht dabei gute Laune zu verbreiten.

Die meisten meiner Freund_innen und Bekannten werden nicht bemerkt haben, dass ich eine Depression habe – und das scheint auch recht typisch zu sein.
Depressive Menschen tragen ihren Kampf im Inneren aus – von außen ist davon wenig zu sehen, oder erst dann, wenn es richtig richtig schlimm wird.

Depressiv zu sein heißt nicht, dass man die ganze Zeit weint und nur schlecht drauf ist. Das mag bei einigen so sein, bei mir ist es jedenfalls anders.
Ich habe Phasen, in denen ich gut drauf bin aber auch Phasen, in denen ich einige Tage oder Wochen mit wenig Motivation orientierungslos vor mich hin vegetiere. Es zieht sich jedoch eine Schwere durch mein Leben, die mich unfrei macht und an meinen Kräften zerrt.

Stell es dir vielleicht so vor, wie ein Gewicht am Bein, mit dem du schwimmen sollst. Das geht – mit der richtigen Technik kannst du ganze Bahnen problemlos schwimmen – aber wenn dir zwischendurch die Energie ausgeht, zieht es dich unter Wasser und du musst umso heftiger strampeln, um wieder auf Kurs zu kommen.

Mein Gewicht ist wohl verhältnismäßig klein – meine Diagnose lautet leichte Depression. Ich bin sicher, dass es Menschen gibt, die deutlich größere Gewichte mit sich rum schleppen. Vermutlich kenne ich sogar ein paar Leute, denen es so geht, ohne es von allen zu wissen.
Entscheidend ist aber nie der Grad der Belastung, sondern die Tatsache, dass die Belastung unnötig ist.

Die ersten Schritte raus aus meiner Depression

Diese Diagnose – leichte Depression – habe ich seit etwa zwei Jahren.
Damals lief von außen gesehen alles gut: Ich habe durch Praktika, ohne Ausbildung, einen angenehm bezahlten Job mit Option auf Festanstellung bekommen und meine Studium begonnen. Hatte Freunde und Freude in meinem Leben.
Und gleichzeitig war das die Zeit, in der ich gemerkt habe, dass es nicht mehr geht und ich Hilfe in Anspruch nehmen sollte und will.

Was das ist, was da nicht mehr funktioniert, konnte ich zu der Zeit noch nicht fassen. Ich konnte aber von meinem Gefühl sprechen, einen „Berg aus Trauer“ mit mir herum zu tragen, dessen Gewicht ich zwar spüren, über den ich aber sonst wenig sagen konnte.

Ich habe also eine Therapie begonnen, dabei aber schon nach wenigen Sitzungen gemerkt, dass ich mich meiner Therapeutin nicht vollkommen anvertrauen wollte und deshalb die Therapie abgebrochen. Eine Therapie erfordert absolute Offenheit, Ehrlichkeit und großes Vertrauen, sonst ist das reine Zeitverschwendung.
Hilfe habe ich statt dessen bei einer Life Coachin gefunden, die mir einiges an Rüstzeug mit auf den Weg geben konnte und mir geholfen hat, meine Lebensqualität zu verbessern.
Trotz ihrer Hilfe und der Hilfe von ein paar weiteren Menschen, konnte ich die Depression noch nicht hinter mir lassen.

Mein neues Verständnis der Depression

So, wie ich in unregelmäßigen Abständen Phasen habe, in denen es besonders schwer ist, das Gewicht besonders stark zieht, habe ich auch immer wieder Phasen in denen in mir die Hoffnung sprudelt, einen Weg zu finden, das Gewicht zu kappen.
Dann suche ich bei jemandem neues Hilfe, stelle einen neuen Maßnahmenplan auf oder denke intensiver über mein Leben nach – vielleicht lässt sich dadurch ja ein Hebel finden.

Vor ein paar Wochen war das mal wieder soweit – ab auf den Jakobsweg, nach Frankreich, um mir in der Ferne Gedanken zu machen und neu sortiert zurück zu kommen – so der Plan.

So richtig hat das nicht geklappt – meine Wanderung war nach vier Tagen schon wieder zu Ende – dafür habe ich aber nach meine Rückkunft ein Buch in die Hand genommen, das in meinem Regal schon auf mich gewartet hat.
So, wie es sich gerade anfühlt, werde ich in ein paar Jahren davon erzählen, dass das Buch mein Leben verändert hat – wir werden sehen.

„Jetzt geht es um mich“ von Josef Giger-Bütler hat mein Verständnis von meiner Depression und mein Verständnis meiner kompletten Persönlichkeit revolutioniert.
Er führt in seinen Büchern eine neue Weise ein, Depression zu erklären und scheint damit nicht nur mir aus der Seele zu sprechen.
Als Therapeut ist er auf depressive Patient_innen spezialisiert und scheint dabei tiefen Einblick in die Köpfe dieser Menschen gewährt bekommen zu haben. Für mich hat es sich ein bisschen wie die verloren-gegangene Anleitung zu meinem Denken angefühlt.

Ich versuche seinen Erklärungsansatz zusammen zu fassen, kann aber depressiven Menschen nur empfehlen „Jetzt geht es um mich – Die Depression besiegen – Anleitung zur Selbsthilfe“ zu lesen und allen Menschen, die sich für Depression interessieren das Buch „Sie haben es doch gut gemeint – Depression und Familie“.

Das ist Depression?

  • Depression ist keine Krankheit, sondern ein erlerntest Verhaltensmuster.
  • Die Symptome der Depression, sind eigentlich Symptome einer geistigen und körperlichen Überforderung (u. a. Müdigkeit, Energielosigkeit, Schlafmangel, schwindender Lebenswille, geistige Desorientierung, Trauer, emotionale Unausgeglichenheit).
  • Die Überforderung resultiert daraus, dass Menschen, die nach dem depressiven Verhaltensmuster agieren, versuchen einer nicht bewältigbare Menge Erwartungen gerecht zu werden.

Wie kommt es zu zur Bildung des depressiven Verhaltensmusters?

  • Depressive Menschen lernen in ihrer Kindheit, dass sie ihren Bezugspersonen (z. B. Eltern) nicht zu Last fallen können/dürfen/sollen (vgl. Aufmerksamkeit, Hilfe, Zuneigung benötigen).
  • Um ihre Eltern zu entlasten, stellen sie sich selbst zurück und definieren sich als potentielle Belastung und Problemquelle, die es gilt ruhig zu halten.
  • Sie versuchen so zu sein/zu werden, wie es für ihre Bezugspersonen optimal ist. Das ist in gewisser Weise eine freiwillige Entscheidung, die die Kinder aber als unbedingt notwendig empfinden.
  • Dazu werden sie Meister_innen darin Situationen, Stimmungen und subtile Äußerungen nach Handlungsaufforderungen zu durchleuchten. Aus diesen Handlungsaufforderungen leiten sie unaufgefordert Erwartungen an ihr eigenes Handeln ab, die sie als bindende Richtlinien in ihre Persönlichkeit übernehmen. „Was muss ich tun, um es meinen Bezugspersonen leichter zu machen?“

Wie äußert sich das depressive Verhaltensmuster?

  • Das depressive Verhaltensmuster besteht darin, aus quasi jeglicher menschlicher Interaktion Erwartungen heraus zu lesen und die eigene Persönlichkeit nach diesen Erwartungen zu optimieren.
  • Die eigene Persönlichkeit schrumpft dabei auf ein Minimum zusammen, um möglichst viel Spielraum für Anpassungen zu schaffen. Eine Persönlichkeit wie Knetmasse, die sich in jeder beliebige Weise formen lässt. Alle eigenen Interessen werden dabei pauschal als schlecht und mangelhaft definiert und lassen sich so noch einfacher durch Erwartungen überschreiben.
  • Depressive Menschen haben dadurch nur einen minimalen unumrückbaren Persönlichkeitskern – die Frage: „Was macht dich aus?“ ist für sie quasi nicht zu beantworten. Eigene Bedürfnisse und Gefühle sind ihnen unklar und fremd. Sie verlernen es schlichtweg sich selbst zu spüren.
  • Sie sind wie ein leeres Gefäß, dass von anderen befüllt werden muss. So definieren sie sich über die Erwartungen anderer, die sie versuchen zu erfüllen. Ein Gefühl der Leere ist typisch.
  • Das Erfüllen von Erwartungen nimmt dabei Ausmaße an, die über die Grenzen des möglichen hinaus gehen – gut reicht bei weitem nicht.
  • Daraus resultiert, dass depressive Menschen – vor dem Kollaps – oft enorm leistungsstarke, übermäßig motivierte oder sehr hilfsbereite Menschen sind. Das sind sie aber nicht aus freier Entscheidung, sondern aus Getriebenheit.
  • Da sie sich selbst als schlecht definiert haben, ist es ihnen fast unmöglich aus sich selbst Sicherheit, Zuversicht und Bestätigung zu beziehen – sie sehen statt dessen die Kluft zum Idealzustand und lesen selbst aus positiven Äußerungen anderer dieses Defizit heraus.
  • Erwartungen anderer zu erfüllen wird zur einzigen Möglichkeit sich eine Daseinsberechtigung zu erwirken und Aufwertung zu erfahren. Diese Berechtigung ist teilweise nur hauchdünn – so dass es nicht ungewöhnlich ist, dass depressive Menschen eine dauernde Gratwanderung zwischen Leben und Tod bewältigen.
  • Alle Energie muss dazu eingesetzt werden, um die erkannten Ideale zu verkörpern. Pausen und Erholungsphasen können sie sich dabei nicht zugestehen und körperliche Beeinträchtigungen (wie Müdigkeit, Erschöpfung) müssen durch zusätzlichen Aufwand kompensiert werden.
  • Laufen depressive Menschen zu lange auf Hochtouren, ohne sich ihrem Muster bewusst zu werden, wird die latente Depression irgendwann zu einer manifesten Depression. Also statt ein Leben unter hoher Anstrengung aufrecht zu halten und immer leerer werdende Energiequellen an zu zapfen, kommt es zu körperlichen Aussetzern (Schwächeanfälle, Krankheiten, andauernder Müdigkeit) und schließlich zum Totalausfall.

Depressive Menschen überfordern sich also laufend selbst dadurch, dass sie versuchen unzähligen Erwartungen gerecht zu werden.

(Wie klar und stark dieses Muster ausgeprägt ist, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch und ist dabei schwer von außen zu erkennen.)

Was gibt es für Möglichkeiten da heraus zu kommen?

Depressive Menschen sind darin trainiert sehr sensibel und aufmerksam die Bedürfnisse anderer Menschen zu erahnen. Sie haben viel Übung darin immer wieder aufs neue Kräfte zu mobilisieren und sich selbst zu motivieren.

Diese Fähigkeiten gilt es jetzt zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten.

Mit viel Einfühlungsvermögen gilt es jetzt die eigenen Bedürfnisse zu ergründen und mit viel Verständnis auch die eigenen Schwächen, Unzulänglichkeiten und vor allem den eigenen Bedarf nach Ruhe und Erholung an zu erkennen.

Es muss gelernt werden die Erwartungen der anderen Menschen zu Gunsten der eigenen Bedürfnisse zu übersehen.

Ein Mensch, der bisher seine komplette Energie darauf fokussiert hat nach außen gerichtet zu sein, soll plötzlich versuchen die Erwartungen, die die Außenwelt bewusst oder unbewusst an ihn heran trägt zu ignorieren (oder ihnen zumindest deutlich weniger Beachtung zu schenken).
Statt dessen soll er diesen, ihm komplett unbekannten Menschen kennen lernen, der in ihm selbst schlummert. „Ich“, das unbekannte Wesen.
…und dann soll er_sie irgendwie damit klar kommen, dass die einzig legitime Daseinsberechtigung (es anderen recht zu machen) plötzlich nicht mehr relevant ist und er_sie einfach so – ohne weiteren Bedarf einer Begründung – da sein darf.

Das ist ja, als würde jemand behaupten, die Erde wäre eine Kugel!
Dabei beweisen alle Beobachtungen, alles bisher Bekannte und jeder vernünftige Gedanke, dass sie eine Scheibe ist!

Wie Josef Giger-Bütler in seinem Buch „Jetzt geht es um mich“ treffend darlegt: Das ist ein verdammt hartes Stück Arbeit.

Und das werde ich in Angriff nehmen!

Glücklicherweise habe ich aussichtsreiche Ausgangsvoraussetzungen:

  • Dank Giger-Bütlers Buch habe ich die Hürden, die sich mir in den Weg stellen werden, fertig ausformuliert vorliegen. Das wird es ermöglichen liebevoller mit mir um zu gehen, wenn ich stagniere oder sogar Rückschritte mache. Außerdem kann ich mir gegebenenfalls Hilfe suchen und der Person das Buch als Lektüre geben, um sicher zu stellen, dass die Person versteht, worum es geht und mir so wirklich eine Hilfe sein kann.

Zu einigen wichtigen Teilabschnitten habe ich auch schon erste Schritte gemeistert:

  • Ich habe gelernt, dass ich tatsächlich eigene Bedürfnisse habe, dass ich die haben darf und dass es erlaubt und gut ist, dass sie befriedigt werden. Ich habe sogar eine Vorstellung davon, was diese Bedürfnisse sind.
    (Als mich meine Life Coachin das erste Mal nach meinen Bedürfnissen gefragt hat, war ich komplett überfordert von der Aufgabe – „habe ich sowas?!“)
  • Ich habe gelernt in Kontakt mit meinen Gefühlen zu kommen und – ganz wichtig – auch unangenehme Gefühle zu zu lassen und sie als wertvoll zu begreifen. Ich habe sogar gelernt Weinen als ein Geschenk zu begreifen und Traurigkeit nicht mehr immer mit gespielter Freude zu übertünchen.
  • Ich habe schon ein paar erste Erfahrungen gemacht, Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen (depressive Menschen neigen dazu, sich aufs äußerste zu verbiegen, nur um Konflikten nicht austragen zu müssen. Ich wurde mal treffend als „Harmonie-Junky“ betitelt).
  • Ich habe mir angewöhnt offener mit meinen Themen um zu gehen, so dass es mir leichter fallen wird über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen – und das wird nötig werden.
  • Ich habe für mich schon heraus gefunden, dass Selbstliebe, klare Kommunikation und Ehrlichkeit wichtige Güter sind und anderen davon erzählt. Jetzt verstehe ich, wieso mir diese Güter so wichtig sind und sehe, dass sie meine Trittsteine sein werden, wenn ich Flüsse zu überqueren habe oder durch Schlamm waten muss.

Um zum Schluss ein paar Sachen explizit zu machen:

  • Das hier ist kein Hilferuf, sondern eine Kampfansage. Ich brauche kein Mitleid und du brauchst dich jetzt auch nicht anders mir gegenüber zu verhalten (außer ich gebe es dir klar zu verstehen). Falls wir befreundet sind, werde ich aber evtl. dein Verständnis in Anspruch nehmen. Frei nach der deutschen Bahn: „Ich danke für dein Verständnis.“ (Ohne dass sie jemals darum gebeten haben – solche Schlingel).
  • Falls du weißt oder dir nicht sicher bist, dass/ob du eine Depression hast: Lies Giger-Bütlers Bücher! Das selbe gilt für Menschen, die glauben, dass sie depressive Menschen begleiten können oder für sie da sein wollen.
  • Falls du auch aus deinem depressiven Verhaltensmuster aussteigen willst, bin ich gerne dazu bereit Erfahrungen und Einsichten mit dir zu teilen.
    Falls du Hilfe für deinen Weg brauchst, solltest du dich aber an einen Therapeuten/eine Therapeutin wenden. Dazu kann ich dir aber gegebenenfalls Tipps geben.
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