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Formen der Zweisamkeit: Sex – Liebe/Verliebt sein – Beziehung

Einsamkeit

Im Grunde sind wir Menschen alle ganz alleine auf dieser Welt. Jeder für sich in einem eigenen Körper, mit einem eigenen Verstand und einem eigenen Geist.
Allein zu sein ist erstmal nichts schlimmes. Das heißt nur, dass gerade sonst niemand da ist.
Ganz anders empfinde ich es mit der Einsamkeit.
Sich einsam zu fühlen bedeutet, zu realisieren, dass es Grenzen zwischen dem „ich“ und dem „anderen“ gibt. Das getrennt sein von den Menschen und Dingen um mich herum wahr zu nehmen und damit plötzlich ganz winzig zu werden.
Während es schwer ist, in Menschengruppen allein zu sein, ist es sehr gut möglich, sich einsam zu fühlen, obwohl man in Gesellschaft ist.

Die Angst vor der Einsamkeit ist wohl eine meiner größten Ängste – deshalb habe ich mir darüber einige Gedanken gemacht.

Ich glaube, dass es sehr beängstigend sein kann, die Einsamkeit so richtig zu spüren, sich richtig bewusst zu darüber zu sein und ihr viel Raum zu geben – deshalb haben wohl die meisten Menschen bewusst oder unbewusst Mechanismen für sich gefunden, das zu verhindern.

Der Trick ist es, Teil von etwas größerem zu sein.
Das können z.B. Ideen sein – Ideologien, Glaubenskonzepte, die Zugehörigkeit zu einer Nation, Fan einer Band oder einer Fußballmannschaft zu sein.
Alle Menschen, die sich der selben Idee zugewandt fühlen, die selbe Ideologie leben oder zum selben Gott/zur selben Göttin beten, teilen dadurch eine Verbindung und können sich als Teil von etwas fühlen. Sie können Teil von einem „wir“ sein – und ein „wir“ ist nie einsam.

Zweisamkeit

Eine andere Möglichkeit ist es, Zweisamkeit (oder Vielsamkeit) mit ganz speziellen Menschen zu suchen. Dabei sehe ich drei bzw. vier Wege, die auch gemeinsam auftauchen können, von denen ich aber glaube, dass es sich lohnt, sie getrennt denken zu können.

Sex

Intimität und sexueller Kontakt ist die Möglichkeit, sich körperlich nah zu kommen, so nah, dass die Intimsphären kaum noch auseinander zu halten sind, so nah, dass kaum noch was dazwischen passt, so nah, dass man schon fast einen Körper teilt. Intimität hat immer etwas verletzliches, weil es einer anderen Person erlaubt wird, sehr sehr nahe zu kommen und die Abgegrenztheit nach außen – das, was die eigene Person von der restlichen Welt abgrenzt – für eine Weile zu überwinden.

Liebe/Verliebt sein

Liebe ist die schönste Emotion, die es ermöglicht, auf eine andere Person so sehr bezogen zu sein, dass ein Verbundenheitsgefühl im Bezug auf die Interessen und Bedürfnisse entsteht (im Prinzip ist z. B. Hass auch ein verbindendes Gefühl). Das Wohl des Anderen und das eigene Wohl sind nur noch schwer zu unterscheiden. Ein gemeinsames Bedürfnis danach entsteht, ein „wir“, das aus einer Wolke von irgendwie gemeinsamen Interessen und Streben besteht.
Verliebt sein ist ähnlich, aber sehr viel aufbrausender, wilder und auf Dauer nicht so stabil wie Liebe. Verliebt sein ist impulsiv und heftig, Liebe ist stark und andauernd. Verliebt sein ist vermutlich auch viel öfter einseitig – und damit kein wirkliches „wir“ – Liebe ist öfter beidseitig und damit ein stabiles „wir“.

Beziehung

Beziehungen werden – so wie ich das Wort kenne – meist sehr klar mit Liebe und Sex zusammen gedacht. Das kommt mir aber zu beschränkend vor.

Ich will das Wort anders verwenden.
Wenn zwei Personen (die nicht notwendigerweise menschlich sind) voneinander Kenntnis genommen haben, also die Existenz des jeweils anderen wirklich realisiert haben, dann besteht zwischen ihnen eine Beziehung. Eine „zwischenmenschliche Beziehung“, wie ich es gerne nenne (weil ich mir in der Regel auf Menschen beziehe). Es wäre vermutlich zu viel erwartet, dass ich mit all den tausenden Menschen, mit denen ich bisher U-Bahn gefahren bin, eine zwischenmenschliche Beziehung aufgebaut habe. Aber schon ein klar aufeinander bezogenes Lächeln kann der Start einer Beziehung sein. Es beginnt eine Historie – bei einem nächsten zufälligen oder absichtlichen Treffen wird die Beziehung ausgebaut – sie besteht aber bereits.
Freundschaften sind sehr klare Beispiele für zwischenmenschliche Beziehungen.

Jede Beziehung hat eigene Regeln und für manche Standard-Regelpakete haben wir Bezeichnungen wie „Freundschaft“, „Affäre“, „Beziehung“ – aber auch „Eltern-Kind-Verhältnis“, „Geschwister“, „Arbeitskollegin/-kollege“.

Wenn von einer „Beziehung“ gesprochen wird, ist meist eine „romantische“ Beziehung gemeint – also irgendwie auf Gefühle gestützt.

Für das Überwinden der Einsamkeit sind „partnerschaftliche Beziehungen“ ein tolles Mittel. Also eine einvernehmliche, langfristige, aufeinander bezogene Verbindung zwischen zwei Menschen.
Das können „romantische“ Beziehungen bzw. „Liebesbeziehungen“ sein – aber auch, oder vielleicht noch mehr, sehe ich beste Freundschaften als partnerschaftliche Beziehungen.

Einsamkeit überwinden

Mit jeder der drei genannten Verbindungsweisen lässt sich für eine Zeit die Einsamkeit überwinden oder zumindest das Bewusstsein der Einsamkeit ein bisschen weniger präsent machen.
Diese Verbindungsweisen sind kombinierbar und ergeben damit noch stabilere Verbindungen.

Zum Beispiel ist das, was wir klassisch unter „Beziehung“ verstehen eine Kombination aus Sex, Liebe und Beziehung.
Trotzdem ist Sex ohne Liebe möglich (nennt sich dann vielleicht „casual sex“), Beziehung ohne Sex (z. B. eben beste Freundschaften oder asexuelle Partnerschaften), verliebt sein ohne Beziehung (oft als „unglücklich verliebt sein“ empfunden).
Es gibt viele Möglichkeiten, Zweisamkeit zu schaffen und dadurch, dass bewusst zugelassen wird, dass es auch möglich ist, nur auf eine der drei Weisen verbunden zu sein, ist es möglich, viel mehr Zweisamkeiten einzugehen und stabiler das zu erreichen, was ich als lebenswichtig empfinde: Der vollkommenen Realisierung der Einsamkeit entkommen.

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